16. Dezember 2015
Der elektronische Rechtsverkehr ist in der Schweiz noch wenig fortgeschritten. Durch ein schweizweites System für die elektronische Akteneinsicht könnte die Entwicklung beschleunigt werden, stellt der Bericht "Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs" des Bundesamts für Justiz fest. Zurzeit sind dazu jedoch noch verschiedene Fragen offen.
Die Voraussetzungen für den elektronischen Rechtsverkehr auf Bundesebene seien schon seit mehreren Jahren vorhanden. Trotzdem habe sich der elektronische Rechtsverkehr in der Praxis bisher nicht durchgesetzt. Aus diesem Grund hat das Bundesamt für Justiz in Erfüllung einer Motion des Ständerats-Mitglieds Pirmin Bischof für den Bundesrat den Bericht „Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs“ erstellt.

Rechtliche Grundlagen


Unter anderem die folgenden rechtlichen Grundlagen haben die Voraussetzungen für den elektronischen Rechtsverkehr in der Schweiz geschaffen:
  • Das Bundesgesetz über die elektronische Signatur, ZertES, ermöglichte die Einführung der SuisseID für die rechtsgültige elektronische Unterschrift, welche Dokumente zuverlässig gegen Einsicht und Verfälschung schützt.
  • Die vereinheitlichten Prozessordnungen (ZPO und StPO) und die Ausführungsverordnungen zur elektronischen Übermittlung erlauben seit 2011 elektronische Eingaben über anerkannte Zustellplattformen und Portale. Diese anerkannten Zustellplattformen sollen die Zugänglichkeit, Sicherheit und Beweisbarkeit der Zustellung sicherstellen. Die Behörden und Gerichte sind dazu verpflichtet, elektronische Eingaben entgegenzunehmen.

Hindernisse


Obwohl die Grundlagen vorhanden sind, sei die Digitalisierung oder „Informatisierung“ im Rechtsbereich noch wenig fortgeschritten, hält der Bericht fest. Denn für die Digitalisierung genüge es nicht, wenn einfach „Dateien per E-Mail ausgetauscht“ würden. Vielmehr müssten auch die vor- und nachgelagerten Prozesse elektronisch erfolgen. Weil aber die einzelnen Akteurinnen und Akteure im Rechtsbereich autonom entscheiden, ob und wie schnell sie auf die Digitalisierung setzen, sei die Gefahr gross, dass es zu gegenseitigen Blockierungen komme.

Erst einige wenige Anwältinnen und Anwälte übermittelten heute ihre Eingaben elektronisch. Grund dafür sei unter anderem die ungenügende Benutzerfreundlichkeit der vorhandenen Lösungen. Zudem habe es sich durchgesetzt, dass Behörden bei den Anwälten eine Papierversion der elektronischen übermittelten Eingaben nachfordern, was allfällige Effizienzgewinne zunichtemacht. Ähnliche Defizite zeigten sich übrigens auch im elektronischen Behördenverkehr und im elektronischen Geschäftsverkehr unter Privaten. Die elektronische Bearbeitung der Geschäftsfälle werde auch in diesen Bereichen spätestens dann abgebrochen und auf Papier weitergeführt, „sobald es nach Ansicht der Parteien um rechtsverbindliche Erklärungen geht“.

Elektronische Akteneinsicht als Katalysator


Als zentrale Voraussetzung und Katalysator für die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs sieht der Motionär selber und auch der entstandene Bericht ein System für die elektronische Akteneinsicht. Die Hoffnung ist dabei, dass ein solches System für die Anwaltschaft und in der Folge auch für die Gerichte so grosse Vorteile bringt, dass sie auch intern „die elektronische Bearbeitung … vorantreiben“.
Ein System für die elektronische Akteneinsicht kann auf verschiedene Arten ausgestaltet werden. Bisher war vor allem das asynchrone Verfahren üblich, bei dem eine Person konkrete Akten bestellt und zu einem späteren Zeitpunkt erhält. Denkbar und vermutlich praktischer wäre aber ein echtes interaktives Online-Portal, in welchem die Personen innerhalb der für sie zugänglichen Daten selber die gewünschten Akten finden und sofort herunterladen können. Eine weitere Frage ist, ob die Aktenführung für die verschiedenen Behörden und Gerichte
  • an verschiedenen Adressen auf unterschiedliche Art
  • an verschiedenen Adressen auf einheitliche Art (standardisiert) oder
  • an einer einzigen Adresse zentral
erfolgt.
Im Zentrum stehen dabei Gerichtsverfahren, bei denen Bundesverfahrensrecht (v.a. ZPO, StPO, SchKG resp. VwVG) angewendet wird. Eine Teilnahme kantonaler und kommunaler Behörden an der Harmonisierung sei aber „vorstellbar“.

Eine minimale Lösung für eine schweizweit einheitliche elektronische Akteneinsicht könnte laut dem Bericht in gemeinsamen Standards bestehen. Diese sollten „eine einheitliche Gestaltung von Web-Adressen, von Bildschirmen für die Suche und die Anzeige von Ergebnissen wie auch für den Abruf umfassen“. Auch „Struktur, Aufbau und Aussehen einer elektronischen Akte“ müsste ein solcher Standard definieren. „Jeder Hersteller hätte diese Vorgaben für seine Software umzusetzen.“

Wenn die Akten elektronisch geführt werden, ist es wichtig, dass auch die Aktenaufbewahrung und Archivierung elektronisch erfolgen kann. Der Bericht verweist hier auf die Harmonisierung und Standardisierungsarbeiten der Koordinationsstelle für die dauerhafte Archivierung elektronischer Unterlagen KOST.

Vorgehen offen


Der Nutzen eines Systems für die elektronische Akteneinsicht wird im Bericht als hoch eingeschätzt. Verbindliche Aussagen zum weiteren Vorgehen macht er aber nicht. Offen lässt er insbesondere die Frage, wo die Federführung für das gemeinsame System für die elektronische Aktenführung anzusiedeln sei. Dabei werden die drei möglichen Lösungsvarianten „private Investorin“, „Joint Venture“ und „Bundeslösung“ genannt. Zwar erscheine es fraglich, „ob durch die ausschliessliche Definition von Standards innert nützlicher Frist eine flächendeckende Umsetzung in der gesamten Schweiz erreicht werden kann“. Angesichts der neusten Sparbeschlüsse des Bundesrates verzichte dieser aber darauf, die Möglichkeit einer Bundeslösung vertieft zu prüfen.
Zurzeit sind in der Schweiz noch diverse Gesetzgebungsverfahren im Gang, die für die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs von Interesse sind, unter anderem im Zusammenhang mit dem künftigen elektronischen Identifikationsmittel (eID). Als wichtigen internationalen Erlass im Hinblick auf das künftige System für die elektronische Akteneinsicht sieht der Bericht denn auch die Verordnung der EU über die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt, eIDAS. Mit der Botschaft vom 15. Januar 2014 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über die elektronische Signatur ZertES wurde dem Parlament bereits ein Vorschlag für die Anpassung an die eIDAS-Verordnung vorgelegt.


Weitere Informationen:
Bundesamt für Justiz: Dossier „Elektronische Akteneinsicht“
Bundesamt für Justiz: Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs, Bericht in Erfüllung der Motion 12.4139, Pirmin Bischof, SR, 12. Dezember 2012