E-Accessibility: Gemeinsam unterwegs
Der 21. November ist der Tag der Inklusion. 2025 fand an diesem Datum die Fachtagung E-Accessibility statt. Trägerin dieser jährlichen Fachtagung ist die 2024 gegründetete Allianz Digitale Inklusion Schweiz ADIS.
Verborgene Behinderungen
Rund 20 Prozent der Bevölkerung haben eine Behinderung. Viele davon sind auch Arbeitnehmende. Doch die Arbeitgebenden wissen oft nichts von der Behinderung. 86 Prozent der Behinderungen sind unsichtbar. 3 von 4 Mitarbeitenden mit einer Behinderung legen diese nicht offen.
Mit diesen eindrücklichen Zahlen zeigte Manu Heim in ihrem Vortrag auf, dass Behinderungen vielfältiger sind, als wir uns das gemeinhin vorstellen. Mit dem Begriff der Neurodiversität werden verschiedenste Behinderungen in der Wahrnehmung und in der psychischen Veranlagung zusammengefasst. Es zeigt sich vor allem eines: Wir Menschen ticken höchst unterschiedlich. Was den einen selbstverständlich erscheinen mag, ist es für andere nicht. Viele Betroffene sprechen nicht über Behinderungen, entweder weil sie sie nicht als solche erkennen oder weil sie Benachteiligungen befürchten.
Mit dem Körper sprechen
Anders sein heisst nicht, weniger wert zu sein. Menschen mit Behinderungen haben viel zu sagen. Das zeigte an der Fachtagung zum Beispiel Katja Tissi eindrücklich. Sie hielt ihr Referat in Gebärdensprache. Die Gebärdensprache ist keine lineare Sprache. Aussagen werden nicht durch das Aneinanderreihen von Wörtern gebildet, sondern quasi dreidimensional in den Raum gestellt. Neben der Gebärde selbst sind zum Beispiel auch die Mimik sowie die Position der Gebärde (z.B. Abstand vom Körper) Bestandteil der Aussage und modifizieren diese. Wer der Gebärdensprache nicht mächtig ist, kann nur staunen über die so andere Art, sich auszudrücken und zu verständigen.
Katja Tissi erläuterte, dass Avatare kein Ersatz sind für menschliche Gebärdensprachdolmetscher. Vor allem bei komplexen Informationen sind gehörlose Menschen weiterhin darauf angewiesen, dass diese durch Menschen vermittelt werden, welche sämtliche Feinheiten der Gebärdensprache kennen. Gehörlose Menschen haben nicht gehörlosen Menschen viel mitzuteilen. Damit sie mitreden können, sind sie auf eine gute Informationsbasis angewiesen.
Vielfältige Behinderungen
Wie vielfältig Behinderungen sind, zeigten zum Beispiel auch die Vorträge von Simone Russi und Mischa Bitterli. Simone Russi ist eine Frau im Autismus-Spektrum und gehört zu jenen Menschen, denen die Behinderung nicht anzusehen ist. Trotzdem ist sie durch ihre Behinderung stark eingeschränkt. Informationsmöglichkeiten im Internet kommen ihr grundsätzlich entgegen, weil sie sich so auf kommende Ereignisse vorbereiten kann. Störend sind für sie hingegen bewegte Bilder oder Bilder, die nichts mit dem Text zu tun haben. Sie fühlt sich abgelenkt und verliert sich in Überlegungen, die unnötige Energie kosten.
Mischa Bitterli bezeichnet sich als vielseitig interessiert. Kehrseite seiner Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist die Gefahr, den Fokus und die Orientierung zu verlieren. Eine klare Aufgabenstellung hilft ihm, sich im Arbeitsalltag zu fokussieren. Zugleich braucht er Selbstdisziplin, um nicht in einen Hyperfokus zu geraten, der ihn alles andere vergessen lässt, mitsamt den körperlichen Bedürfnissen. Einerseits erlaubt der Hyperfokus, sich ganz in eine Aufgabe zu vertiefen und ein spezifisches Problem effizient zu lösen. Andererseits kann er in schlechteren Fällen ein mehrtägiges Loch nach sich ziehen.
Bedürfnisse noch kaum abgebildet
Simone Russi und Mischa Bitterli sind sich einig, dass die Bedürfnisse von Menschen mit Neurodiversität in den heutigen Zugänglichkeits-Richtlinien WCAG noch kaum abgebildet sind. Diese orientieren sich stark an den Bedürfnissen von blinden Menschen.
Stefan Barac regte an, die Barrierefreiheit eher als Hilfestellung und als Mittel zur Innovation zu verstehen denn als Pflichtübung. Die automatische Drehtüre, die Tastatur, die elektrische Zahlbürste oder das Armaturenbrett eines modernen Autos nannte er als Beispiele dafür, dass auch Menschen ohne Behinderungen von Innovationen und Vereinfachungen profitieren, die für Menschen mit Behinderungen geschaffen wurden.
Privatwirtschaft in der Pflicht
In Europa wurde mit dem European accessibility act EAA auch die Privatwirtschaft in die Pflicht genommen, Produkte und Dienstleistungen diskriminierungsfrei zu erbringen, damit auch Menschen mit Behinderungen sie nutzen können. In der Paneldiskussion berichtete Nikolaus Eckereder von der österreichischen Marktüberwachungsbehörde digitale Barrierefreiheit über die Erfahrungen mit der Ahndung von Verstössen.
Schweizer Unternehmen, die den europäischen Markt beliefern, unterstehen dem EAA ebenfalls. Mit der Teilrevision des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes bewegt sich die Schweiz in eine ähnliche Richtung und wolle dabei auch von den Erfahrungen in Europa profitieren, sagte Markus Riesch von der schweizerischen Geschäftsstelle E-Accessibility.
Die Herausforderungen an Unternehmen sind gross, wie Gianfranco Giudice am Beispiel der UBS erläutert. Grosse Firmen haben vielfältige Unternehmenseinheiten in verschiedenen Ländern und auch externe Lieferanten, die sie nur schwer in die Pflicht nehmen können. Sie haben vorbestehende Software und Tools. Es braucht viel Zeit, einen grossen Einsatz und viel Geduld, um internen Guidelines Schritt für Schritt Gehör zu verschaffen.
Miteinander statt gegeneinander
René Jaun als langjähriger Moderator beschloss die Tagung in einem nachdenklichen Ton. Was tragen wir als Gesellschaft dazu bei, dass Menschen mit Behinderung sich nicht outen oder sogar eigene Behinderungen gar nicht erkennen, fragte er sich. Zugänglichkeit darf kein Kampf gegeneinander sein, gefragt ist ein Miteinander, ist er überzeugt.
Mehr Informationen:
Programm der Fachtagung E-Accessibility vom 21. November 2025