14. Juli 2016
Das elektronische Bürgerdossier wäre ein wertvolles Instrument für ein breites Spektrum von eGovernment- Anwendungsfällen. Dies zeigt der Verein eGov Schweiz an den Beispielen Umzug, Steuererklärung, politische Vernehmlassungen („Smart participation“), Registerauszüge/Zivilstandsausweise und elektronisches Qualifikations- und Bewerbungsdossier („Curriculum vitae 3.0“).
Der Verein eGov Schweiz hat 2012 das Projekt Bürgerdossier gestartet. Er sieht im elektronischen Bürgerdossier ein enormes Potenzial. In eigenen Studien und als Studienauftraggeber untersucht er diverse Fragen rund um das Bürgerdossier. Unter anderem hat er 2014 auch bereits die Frage nach einer geeigneten Bezeichnung für das Bürgerdossier als behördenübergreifende e-Plattform thematisiert.

Praktische Anwendung


Anfangs Juli 2016 hat der Verein nun seine neuste Studie veröffentlicht. Sie trägt den sehr breit gefassten Titel „Zukunftsstandort digitale Schweiz“, zeigt aber sehr konkret und praxisorientiert, wie sich ein eBürgerdossier einsetzen liesse und welche Vorteile es bringen würde. Dafür wurden 5 Anwendungsfälle aus verschiedenen Staatsbereichen ausgewählt. Auswahlkriterium war, dass die Anwendungsfälle ein besonders grosses Nutzenpotenzial aufweisen sollten. Dieses Potenzial wurde dann als gross vermutet, wenn der Anwendungsfall häufig ist, viele Einwohner/-innen betroffen sind, viele Interaktionen pro Anwendungsfall nötig sind und/oder viele Dokumente oder Datenpunkte bearbeitet werden müssen.

Umzug als Anwendungsfall


Als ersten Anwendungsfall haben die Autor(inn)en den Umzug untersucht. Interessant ist dabei, dass die Hoheit über das eBürgerdossier allein bei der jeweiligen Person gesehen wird. Diese Person soll zudem über eine eindeutige elektronische Identität verfügen, für welche der Bund mit der SuisseID bereits eine nützliche Grundlage geschaffen habe. Anders als beim bestehenden eUmzugCH würde sich die Person also eindeutig identifizieren. Sie würde dann in ihrem Bürgerdossier die Adressänderung vornehmen, für sich selber wie auch für ihre minderjährigen Familienmitglieder. Daraufhin würde sie die Meldung für bestimmte Stellen freigeben.

Besonders einleuchtend erscheint das Nutzenpotenzial auch im Bereich „Registerauszüge und Ausweise des Zivilstandswesens“: „Ausweise, Urkunden, Registerauszüge wie auch Entscheide und Verfügungen im Justizbereich sollen von Berechtigten in elektronischer Form signiert bezogen und ausgetauscht, d. h. zu anderen Geschäftsprozessen beigefügt werden“, so die Vision. Weil die Inhaber der Bürgerdossiers eindeutig identifiziert sind, können Behörden signierte Dokumente in ihr Bürgerdossier hochladen. Die Inhaber der Bürgerdossiers können diese Dokumente in der Folge für verschiedenste Zwecke für andere Behörden wie auch für Unternehmen (z.B. potenzielle Vermieter, potenzielle Arbeitgeber usw.) freigeben.

Als weitere Anwendungsfälle untersuchen die Autor(inn)em die Abwicklung der Steuererklärung natürlicher Personen, die „Smart participation“ im Sinne einer Beteiligung an politischen Meinungsbildungs-, Initiativ-, Petitions- und Vernehmlassungsprozessen verschiedenster Art sowie ein elektronisches Qualifikations- und Bewerbungsdossier („Curriculum vitae 3.0“).

Voraussetzungen und Nutzen


Für jeden Anwendungsfall untersucht die Studie, welche Voraussetzungen notwendig sind, damit eine Abwicklung via eBürgerdossier möglich ist. Dabei unterscheidet sie zwischen Querschnittvoraussetzungen, die für mehrere Anwendungsfälle notwendig sind, und fallspezifischen Voraussetzungen. Insgesamt wurden 25 Anforderungen identifiziert. Die Autor(inn)en ordnen all diese Anforderungen den drei Bereichen Plattformmanagement (z.B. Sicherheitszertifizierung, Verfügbarkeit), Dokumenten- und Datenmanagement (z.B. Datenbezug aus Registern, Freigabe- und Versandmöglichkeiten für Dokumente) sowie Interaktions-, Identitäts- und Access-Management (z.B. elektronische Identität, elektronische Unterschrift) zu.

Den Nutzen eines eBürgerdossiers sehen die Autor(inn)en in den Bereichen politische Partizipation, Standortattraktivität und Wohlfahrt. Den quantitativen wirtschaftlichen Nutzen für die untersuchten Anwendungsfälle schätzen sie auf rund 0,13% des Schweizer Bruttoinlandsproduktes (BIP). Das Potenzial des eBürgerdossiers über alle möglichen Einsatzgebiete hinweg wird sogar mit bis zu 1% des Schweizer BIP beziffert.

Auf funktionierende Lösungen zurückgreifen


Die Autor(inn)en gehen davon aus, dass ein eBürgerdossier mindestens einen Zugangspunkt für die Benutzer/-innen, eine Serviceebene zur Abwicklung der Anwendungsfälle, ein System zur Datensteuerung und ein Identitäts- und Berechtigungsmanagement enthalten muss. Eigentlicher Paradigmenwechsel ist dabei die zentrale Funktion der Einwohner/-innen als Inhaber/-innen ihrer eBürgerdossiers. Verschiedenste Akteure sollten innerhalb eines solchen Gesamtsystems Möglichkeiten erhalten, Datenzugriffe anzufragen und freizugeben. Für diese Freigaben sollten Regeln erstellt und deren Einhaltung erzwungen werden können.

Den Autor(inn)en schwebt ein dezentrales System vor, das auf bereits verfügbare und funktionierende Lösungen zurückgreift und diese adaptiert. So sollen aufwändige und kostenintensive Neuentwicklungen vermieden werden, denn solche würden „in erster Linie in unflexiblen Systemen münden“.

Die Aufgaben des Bundes sehen die Autor(inn)en in einem solchen Modell vor allem in der Schaffung der Rahmenbedingungen. Insbesondere sollen alle Einwohner/-innen eine elektronische Identität erhalten, und der Bund soll eine Akkreditierungs- und Zertifizierungsstelle für eBürgerdossier-Anbieter schaffen. Um das eBürgerdossier anzustossen, wäre es zudem hilfreich, wenn auf der Ebene des Bundes ein Departement klar zuständig wäre. Angesichts der beträchtlichen Anfangsinvestitionen und der bestehenden Risiken für private Anbieter könnte aus Sicht der Autor(inn)en auch eine Anstossfinanzierung notwendig sein.

Weitere Informationen:
Verein eGov Schweiz: Studie „Zukunftsstandort digitale Schweiz“ – Bürgern und Unternehmen das Leben erleichtern, Medienmitteilung vom 5. Juli 2016
eGov Schweiz: Zukunftsstandort digitale Schweiz. Voraussetzungen und Potenziale des elektronischen Bürgerdossiers für Schweizer Bürger/innen und Einwohner/innen, Studie publiziert am 5.7.2016, Konzept und wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Matthias Finger, ISBN-Nummer: 978-3-906167-10-7
Website Verein eGov Schweiz

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